3. Ordnungspolitik

















3.001
Auf dem Weg zum Richterstaat

Petra Gössi, Nationalrätin FDP.Die Liberalen Kanton Schwyz, in: Freisinn, April 2013

In Zukunft wird uns die politische Dimension der Gerichtsbarkeit immer mehr beschäftigen, weil sich in vielen Fällen die Frage nach der demokratischen Legitimation stellt. Ein Beispiel zeigte sich bei der Diskussion um die Erwahrung der Schwyzer Kantonsverfassung: Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichtes gelten bei Proporzwahlen natürliche Quoren, welche das Verhältnis von 10 Prozent übersteigen, als nicht zulässig.
Ein solches Quorum klingt auf den ersten Blick vernünftig und nachvollziehbar. Bis man die Frage stellt, wieso denn gerade 10 Prozent als zulässig gelten und wieso die Limite nicht bei 8 Prozent oder bei 20 Prozent angesetzt wird. Für diese Grenzziehung gibt es nämlich keinen objektiv unverrückbaren Massstab. Weder im Gesetz noch in der Gesellschaft. Wie also kommt das Bundesgericht dazu, genau dieses Quorum als Massstab einzusetzen? Indem es ganz einfach entscheidet. Das heisst, dass die Frage, wie gross eine Minderheit sein muss, damit sie im politischen Prozess noch berücksichtigt wird, durch das Bundesgericht und nicht durch den Gesetzgeber bestimmt wird. Damit fehlt dem durch Richterrecht festgesetzten Quorum die demokratische Legitimation. Man darf dabei nicht vergessen, dass auch ein Bundesrichter immer einen Rucksack mit der eigenen Werteordnung mit sich trägt. Ob das jedoch die Werteordnung der Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer ist, bleibt völlig offen.
Ein anderes Beispiel zeigt sich mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Schweiz ist der EMRK im Jahr 1974 durch Beschluss der Bundesversammlung beigetreten. Da es sich dabei um einen nach fünf Jahren kündbaren Vertrag handelte, unterliess es das Parlament, diesen Beschluss dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Nichtsdestotrotz erklärte das Bundesgericht nur vier Monate später, dass die Verletzung der EMRK mit einer Verletzung verfassungsmässiger Rechte gleichzusetzen sei. Grundsätzlich bedarf Verfassungsrecht aber des Volks- und des Ständemehrs.
Es entspricht nicht einer international anerkannten Haltung, dass der EMRK Verfassungsrang zukommt. In Deutschland gilt die EMRK beispielsweise als einfaches Gesetz. Natürlich hat das Schweizer Parlament einen Fehler begangen, weil es zu leichtgläubig war. Aber was masste sich das Bundesgericht an, als es erklärte, dass die EMRK Verfassungsrang habe? Da im Nachhinein eine Volksabstimmung kaum mehr durchgeführt werden kann, ist es nun am Gesetzgeber, einen Weg zu finden, um der EMRK den Verfassungsrang in der Schweiz wieder abzuerkennen.
Immer öfter entscheiden Gerichte über Fragen, die in einem politischen Prozess gelöst werden müssten. Diese Haltung wird zudem verstärkt, indem bei einem unbeliebten Mehrheitsentscheid vermehrt das Bundesgericht angerufen wird – und dieses dann entscheiden muss.
Wir müssen solche Entwicklungen aufmerksam beobachten und rechtzeitig Gegensteuer geben. Oft ist der politische Entscheidungsprozess länger und schwieriger als der Gang zum Bundesgericht. Wir sollten ihn trotzdem gehen. Weil uns unsere Freiheit wichtig ist.



3.002 Richterstaat:
f-r-e-i-Brief, Oskar B. Camenzind, Brunnen
Hochnebel!
«Der ganze Berg Sinai aber rauchte», als Gott die Stimme erhob und Moses sein Gesetz offenbarte (Exodus 19,18). Vom Berg Sinai herab kamen Jahwes Zehn Gebote auf das Volk Israel. Vom Hügel Monrepos in Lausanne herab, sozusagen aus dem Jenseits nebulösen «übergeordneten» Rechts, kam die Offenbarung auf das Schweizer Volk, dass die Einbürgerung von nun an kein politischer Akt mehr zu sein habe, sondern der Willkür der Volksabstimmung entzogen und einer «höheren», nämlich der eigenen, der richterlichen Willkür übertragen werden müsse. Dabei scheint aber den Lausanner Göttern entgangen zu sein, dass das Gottesgnadentum in der sog. Aufklärung durch die bürgerliche Revolution hinweggefegt wurde: Von da an war Volkesstimme Gottes Stimme! Zur Erinnerung: In der direkten Demokratie ist das Volk der Souverän, «von dem alle Macht ausgeht» (wie es in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland heisst und von einem Spötter ergänzt wurde: «... und niemals zum Volk zurückkehrt»). Parlament, Regierung und Gerichte sind Repräsentanten des Volkes und nicht irgendeiner nebulösen höheren Gewalt. Wenn nun durch Volksentscheide (Beispiel Verwahrungsinitiative) Widersprüche zu
internationalen Konventionen entstehen, sind diese zu kündigen und nicht
Volksentscheide in unerhörter Anmassung als ungültig zu erklären.
Aber immer wieder verfallen Bundesräte, Regierungsräte und nun auch
Bundesrichter der Verführung, sich auf höhere Gewalt zu berufen, um sich das Regieren leichter zu machen. Wie schön ist es doch für einen Regierungsrat zu sagen: «Ich würde ja schon, aber die in Bern...»!. Der jetzige Bundesrat seinerseits träumt davon, sagen zu können: «Ich würde ja schon, aber die in Brüssel...!». Und Bundesrichter verstehen sich als Verfassungsrichter (die in der direkten Demokratie unsinnig sind) und berufen sich auf «...das Völkerrecht!» (das im Übrigen sowieso
nur die Kleinen bindet, die Grossmächte hatten schon immer ihr Guantanamo).
Einmal mehr geht es der «classe politique» darum, die verhassten direktdemokratischen Instrumente, Initiative und Referendum zu unterhöhlen und die Schweiz für das «Neue Europa» breitzuschlagen (diesmal mit der Hauptstadt Brüssel). Schon einmal hat ja eine Elite von Akademikern: Politiker, Offiziere, Wirtschaftsführer in der berüchtigten «Eingabe der 200» am 15. November 1940 vom Bundesrat verlangt, er müsse die Medien unter seinen Einfluss bringen um das «Neue Europa», damals mit der Hauptstadt Berlin, nicht zu verärgern. Damit sind wir beim zweiten, für die Erhaltung der Demokratie und der Gewaltentrennung relevanten Abstimmungsthema dieses Wochenendes: Soll sich Bundesrat und Administration in die politische Meinungsbildung mit Steuermillionen einmischen? Soll von oben herab das Volk eingenebelt werden?
Nutzen wir die Chance, mit einem Ja zu den Initiativen «Für demokratische
Einbürgerungen» und «Volkssouveränität statt Behördenpropaganda» wieder klare Verhältnisse zu schaffen, den Hochnebel zu vertreiben und den schleichenden Demokratieabbau zu stoppen. Es könnte die letzte sein.